Streetartolymp

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Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Da sitzt man den ganzen Abend vorm Fenster und wartet, bis der Horizont die Sonne gänzlich verschlungen hat, bis der Großteil der Lichter in den Häusern erlischt, um dann motiviert und beladen mit neuen Motiven sein Heim gen Dunkelheit zu verlassen, nur um festzustellen, dass der Drahtesel einen Platten hat…

Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Da müsst ihr nun auch durch. Ihr sollt so leiden wie ich in dem Moment. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Pfft. Okay. Reicht. Die Reise durch die Nacht beginnt. Ziel: Schanze. Sich einreihen in die Hall of Fame der Streetartists. Ein bisschen Ruhm abstauben. Sich in den Streetart-Hamburg Blogs endlich selbst finden. Hamburg ist die Schanze. Wen interessiert ein Stencil in Bergedorf. Schanze is the shit. Der Streetartolymp.

Fahrrad anschließen. Hut ins Gesicht ziehen. Ich bin die Nacht. Der Traum von Fotos der eigenen Werke unterwirft sich der Hoffnung, nicht selbst auf einem solchen Foto zu sehen zu sein. Das Partyvolk besiedelt die Straßen. Vor Häusern bilden sich Warteschlangen. Jeder will ein Selfie mit cooler und hipper Straßenkunst im Hintergrund. Die Selbstdefinition basiert auf der Meinung anderer. So kann ich nicht arbeiten. Während die Wartenden noch drüber sinnieren, ob Duckface oder nicht und welcher Filter cooler kommt, versuche ich eine jungfräuliche Wand zu finden. Gleich danach suche ich das Bernsteinzimmer. Motivation und Verzweiflung ringen. Noch sind sie gleich auf. Ausgang ungewiss.

Entschuldigen Sie? Sie haben da ja einiges in Ihrem Rucksack. Sind Sie zufällig Künstler?“

Erschrocken dreh ich mich um und mein Blick folgt dem Arm auf meiner Schulter zu einem gierig grinsenden Gesicht. Die Angst, jetzt schon von der Bullerei gepackt worden zu sein, verfliegt und mischt sich mit dem stark riechendem Aftershave des Mannes. Der Schweiß läuft ihm übers Gesicht. Perlt vom Kinn. Wird von seinem Anzug und seiner Krawatte absorbiert und landet so wieder im Kreislauf. Es ist eine ungewohnt heiße Sommernacht. Der Anzugtyp hat hart mit Stilbewusstsein und angemessener Kleidungswahl zu kämpfen. Ob der Standardanzug nun ein gänzlicher Erfolg ist – zu bezweifeln.

Sie sind doch sicher Künstler. So etwas erkenne ich.“ Er pausiert. Schmatzt. Muss Speichel schlucken. „Sehen Sie. Ich habe vor kurzem diese Bar hier gekauft.“ Schweiß tropft von seiner Hand, als er auf den leeren Laden hinter sich deutet. Schmatzt. Er muss erneut schlucken. „Wir mussten alles renovieren, da dort vorher seit wer weiß wie vielen Generationen eine Familie ihr Schmuddelgeschäft drin hatte. Sie können sich nicht vorstellen, wie heruntergekommen alles war. Ekelhaft. Einfach nur widerwärtig.“ Seine Abscheu allem Menschlichen gegenüber funkelt in seinen Augen auf und seine Oberlippe zuckt angewidert nach oben. Schmatzt. Er fängt sich wieder und setzt erneut sein Lächeln auf. „Die Fassade ist frisch gestrichen und nun wollte ich Sie fragen, ob sie Ihre Werke, oder zumindest eins, nicht an ihr anbringen wollen. Sie haben selbstverständlich freie Motivwahl. Von ‚Scheiß Yuppies’ bis ‚ACAB’ ist Ihnen alles selbst überlassen. Sie haben doch sicher ein kleines Repertoire dabei.“ Schmatzt. Sein Speichelfluss rebelliert gegen die Norm.

Passend zu meiner Mimik entfährt mir nur ein leises „Ähm…“.

Ich sehe schon. Sie sind Geschäftsmann.“ Er kramt in seinem Sakko. Entnimmt ein Portemonnaie. Entnimmt ein paar Scheine. Zählt. Er streichelt jeden einzelnen Schein sanft mit einem Finger. Schmatzt. Dammbruch. Er leckt sich mit der Zunge über die Lippen. Seine Beine versuchen das Unvermeidliche zu verbergen. Durch leichte Bewegungen die Hose unauffällig zu richten. Doch die Erektion zeichnet sich am dünnen Stoff der Anzughose ab. Ich nutze seine Ekstase und gehe langsam rückwärts. Schleiche bis zur nächsten Ecke. Verschwinde. Ich gucke skeptisch immer wieder hinter mich, um sicher zu gehen, nicht verfolgt zu werden. Zünde mir doch leicht nervös eine Kippe an. Übersehe. Stoße zusammen.

Sorry, sorry, sorry. Ich hab dich nicht gesehen. Alles gut?“, sag ich erschrocken.

Verblüfft stehe ich vor dem nächsten Lindner-Double. Er streicht sich seine gegelten Haare mit einer Hand zurück. Grinst. Seine Zähne nehmen der Nacht ihr Mysterium. Scheinwerfer. Er merkt scheinbar nicht, dass die Glut meiner Kippe an seiner linken Backe hängen geblieben ist und sich langsam ins Fleisch brennt. „Sind Sie zufällig Künstler? Sehen Sie, ich habe gerade diese Lokalität erworben…“

So weit die Beine einen tragen. So weit die Lunge es zulässt. Also um die nächste Ecke. Neue Kippe. Ein Bier wäre auch perfekt. Also erst mal irgendwo pausieren. Klar kommen. Ich lass mich zu Boden sinken. Schneidersitz. Kippe genießen. Atmung regulieren.

Entschuldigung…“

NEIN, MANN!!! GEHT MIR NICHT AUF DEN SACK!!!“, brülle ich zur Geräuschquelle. Was geht denn hier ab? Die sind doch alle bescheuert.

Doch woher kommt dieses Röcheln? Unter mir bewegt sich was. Ich schreck hoch. „Waahh! Wer bist denn

du?“

Ein kleines Kind steht auf, japst nach Luft und drückt schmerzverzerrt ein Auge zu. Plötzlich weitet sich entsetzt sein Blick und es beginnt den Dreck von sich zu schlagen. Murmelt vor sich hin. „Mama mag kein‘ Dreck. Mama mag kein‘ Dreck…“

Digger, wer bist du denn jetzt?“, frag ich erneut. Mit großen Augen guckt mich das Kind an. Es hatte mich wohl kurz vergessen. Ein Junge. Vielleicht erste Klasse. „Entschuldigung, ich wollte Ihnen nicht im Weg sein.“ Eine leise, zarte Stimme verlässt seinen Mund.

Was? Ich muss mich entschuldigen. Geht´s dir gut? Ich hab dich voll übersehen. Was machst du hier so allein? Digger, es ist mitten in der Nacht!“, erwidere ich.

Ich warte auf meine Mutter. Sie hat kein‘ Babysitter gefunden und war verabredet. Ich warte, bis sie fertig ist…“ Seine Stimme wird immer leiser. Ich gucke an ihm vorbei in das Fenster einer Kneipe. Nur drei Gäste. Eine Frau und zwei Typen, die an ihr herumfummeln. Ich gucke wieder zum Kind.

Ja, sie brauch‘ bestimmt nicht mehr lange“, flüstert es unsicher.

Hmm… wenn das so ist, kannst du mir ja kurz helfen. Ich schenke dir dann auch was dafür“, schlag ich vor.

Seine Augen fangen an zu leuchten. „Ein Geschenk? Für mich?“ Nun füllen sie sich mit Tränen.

Ja, sicher! Ich brauch auch nur eine Minute deiner Zeit.“ Ich lächle das Kind an und zwinker ihm zu.

Siehst du den Hauseingang hier?“ Ich deute zu unserer Linken. „Ich komme da oben nicht alleine an. Also heb ich dich hoch und du klebst da für mich was hin.“

Oh, cool. Ein echtes Geschenk.“ Er nickt aufgeregt.

Ich trage Mega-Ultra-Hardcore-Kleben-statt-Einzementieren-Montagekleber auf die Rückseite einer Kachel auf und hebe den Jungen auf meine Schulter.

Du musst richtig schön fest drücken.“ Er nickt und stemmt sich gegen die Kachel.

Als er wieder unten ist, betrachte ich stolz mein erstes Werk auf dem Streetartolymp.

Danke, Meister. Hätte ich ohne deine Hilfe nicht geschafft.“ Ich halte ihm meine Faust hin und er schlägt ab.

So, wie versprochen dein Geschenk…“ Ich krame in meinem Rucksack rum. „Was ist deine Lieblingsfarbe?“, frag ich ihn nebenbei. Er überlegt kurz. „Ich weiß, es gibt gar keine Mädchenfarben. Darum ist Lila meine Lieblingsfarbe.“ Er errötet leicht und blickt mich erwartungsvoll an.

Puh… Glück gehabt. Ich habe nur schwarz, grün und lila dabei“, denke ich und reiche ihm einen lilafarbenen Dripstick.

Damit kannst du nun durch die Straßen gehen und deinen Namen an die Wände schreiben. So findet dich deine Mutter auch schnell wieder, wenn sie hier fertig ist. Aber nicht vergessen, du musst schön fest drücken“, erzähl ich ihm grinsend.

Echt? Ist das nicht verboten?“ Zögernd betrachtet er den Marker.

Ach, guck dich ma um. Hier schreiben alle ihren Namen an die Wände. So verlaufen sie sich nicht. Und außerdem macht es Spaß. Achte nur drauf, dass du niemanden crosst… ähm… nicht über einen anderen Namen rüber malst.“ Er guckt sich bewundernd die Wände an. Blickt auf den Marker. Blitzschnell greift er den Dripstick und beginnt, sich auf den Wänden zu verewigen.

Cool! Da läuft die Farbe ja richtig runter“, zeigt er mir begeistert. Ich nicke ihm lächelnd zu.

So, viel Spaß dir noch. Ich muss langsam weiter“, verabschiede ich mich. Er dreht sich kurz um, winkt und malt dann weiter.

Ich finde tatsächlich noch ein paar entlegene Plätze, um ein paar Stencils und Kacheln anzubringen, doch die Begeisterung hält sich in Grenzen. Jedes Mal, wenn ein Mensch meine Bahn kreuzt, wechsle ich schnell die Straßenseite, um nicht wieder vollgelabert zu werden, nur um dann in das betrunkene Partyvolk zu stolpern. Das ist kein Ruhm der Welt wert. Es wäre gesellschaftskritischer, hier keine Streetart zu hinterlassen. Ich fahr wieder nach Altona. Da hab ich meine Ruhe.

Auf dem Rückweg komm ich an einer Polizeiwache vorbei. Eine betrunkene und laut protestierende Frau wird von zwei Polizisten abgeführt. Der Naturinstinkt des Gaffens kommt durch und ich halte kurz an, um mir das Spektakel anzugucken. Die Frau tritt und spuckt nach den Polizisten, während sie alle Mühe haben, sie an den Armen ins Gebäude zu führen.

IHR SCHWEINE HABT MIR MEIN DATE VERSAUT! DER TYP WAR ECHT EIN GLÜCKSGRIFF UND SEIN FREUND WAR AUCH NICHT SCHLECHT! ICH BRING EUCH UM! UND MEIN JUNG… ICH WILL MEIN JUNGEN ZURÜCK!!“

Während sie brüllt, erwischt sie einen Bullen genau am Schienbein.

Ich gucke zu den Polizeiautos. Auf eins wurde mehrfach der Name „Ben“ getaggt. In dem dahinter parkendem sitzt ein Junge auf der Rückbank und schlürft Kakao. Eine junge Frau sitzt neben ihm und lächelt ihm liebevoll zu.

Wusste ich doch, dass Lena heute Dienst hat.