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„Ey, was ne Scheiße. Ich stand ne verfickte halbe Ewigkeit vor der scheiß Wand. War n richtig geiles Piece. Also mal so richtig, richtig geil.“
Die Sonne krabbelt schon langsam aus ihrem Bett, so wie die meisten schon in die ihren gestolpert sind. Wir sind die letzten in der Kneipe. Haben den Tresen erobert und zu unserem Territorium erklärt.
„Das ist nicht irgendein Photoshopscheiß, den man gemütlich zuhause vorm abgefucktem Rechner macht. Nee, Digger. Das ist wahre Kunst. Ne scheiß Arbeit. Die ihre scheiß Zeit vor der scheiß Wand braucht. Nicht ma eben kurz irgendwo hinkleben. Ganz gemütlich. Ohne Stress. Ohne Ärger.“
Er nimmt einen großen Schluck von seinem Bier und donnert die Flasche auf den Tresen.
„Mann! Das war echt richtig geil. Und dann kommt so ein Pisser, erkennt, wie perfekt der Platz ist, und ballert da einfach sein scheiß Paste up rüber. Was soll die Kacke? Ich konnte noch nicht ma ein verficktes Foto machen…“ Seine mit Farbspritzern überzogene Hand lassen die Flasche um sich selbst tanzen. Genervt wendet er sich zu mir. Schaum rinnt ihm aus dem Mund. Seine hervorstehenden, pulsierenden Adern auf der Stirn pumpen puren Hass.
„Sag doch auch mal was dazu. Du bist doch auch einer von diesen Streetartwichsern.“ Er hebt theatralisch die Stimme und verdreht seine Augen. „Oh, wir sind ja so toll und innovativ. Wir machen Streetart. Kleben Herzchen und Blümchen an Wände und verkaufen den Scheiß in Galerien.“
Ich nippe an meinem Bier. Mir fällt es genauso schwer die Augen aufzuhalten, wie etwas dazu zu sagen. Ich verstehe seine Wut. Vollkommen. Selbst bei solchen illegalen Aktivitäten gibt es seine Regeln und Gesetze. Ich bin einfach nur zu fertig, um Wörter aneinander zu reihen. Sätze bilden. Das war schon als Kind scheiße. Ich bin auf dem kommunikativen Stand eines Zweijährigen.
Er erwartet scheinbar keine wirkliche Antwort und will weiter wüten.
„Ich kann mich auch vor nen scheiß Rechner setzten und ma eben den Kontrast bei nem verficktem Foto so hochpushen, bis ich ein Stencil habe. `Ohh…. ich habe Kunst gemacht.´ – Einen Scheiß hast du gemacht.“ Er zündet sich zwei Kippen an und drückt mir eine in den Mund. Halb bewusstlos nicke ich ihm dankend zu.
„Fuck the Norm. Darum geht’s doch. Die Gesellschaft ficken. Nerven. Den Leuten auf die Füße treten. Den Wichsern zeigen, dass die Stadt nicht nur ihnen gehört. Nicht den Arschlöchern Nahrung für ihren verfickten Instagram-Account zu bieten.“ Er hebt seine Hand und will zwei neue Biere ordern.
Der Barkeeper sitzt in der hintersten Ecke der Bar und lehnt schlafend am Kühlschrank. „Waahh!“ Genervt steht er auf und holt uns selbst die Biere. Auf seinem Weg tagt er die Außenwand des Tresens voll. Pflichtbewusst. Dabei schwadroniert er weiter.
„Soll doch jeder machen, was er will. Ist mir eigentlich auch scheißegal. Aber ihr Pisser solltet euch eure eigenen scheiß Wände suchen. Aber selbst dafür seid ihr euch zu fein. Das Geile dabei ist ja noch, dass unsereins mit Hubschraubern und Hundertschaften gejagt wird, während sie euch Arschlöchern freundlich zuwinken. Und dann klebt ihr Spacken einfach über eins der geilsten Pieces ever eure scheiß Photoshopkacke.“ Er öffnet uns die Flaschen und stellt mir eine hin. Bemerkt meinen Blick.
„Ja, okay. Die Pisser. Die Arschlöcher. Ist ja gut. Musst nicht so scheiße gucken. Du bist aber weit in der Minderheit. Über n Tag. Okay, was soll‘s, da knallt man auch n Throw up drüber, dann ist aber auch verdammte Scheiße Schluss.“ Wir stoßen an. Erfolglos versuche ich erst mit einem Auge, dann mit der Nase zu trinken.
„Lass uns abhauen. Ich bin durch. Hab kein Bock hier zu pennen“, schaffe ich mir abzuringen. Für diese Worte habe ich die letzten Stunden all meine Energie gesammelt und komprimiert. Er nickt mir zu und wir exen die Biere. Mund getroffen. Mama wäre stolz. Bevor wir abhauen, gehen wir noch mal urinieren und nutzen die Ruhe und Leere, um das gesamte Klo zu verschönern.
„Was machste die Tage?“, fragt er mich beim Verlassen der Bar. Er kennt mich. Morgen werde ich tot sein. Regenerationszeit brauchen. Ich zucke mit den Schultern, während meine Augen sich nicht einigen können, in welche Richtung sie gucken sollen.
„Gut, dann treffen wir uns die Woche wieder hier. Ich schreib dir nochmal. Ich habe jetzt einen Plan. Nennen wir es lieber: ein Experiment. Es diesen Pissern zeigen. Arschlöcher. Wirst schon sehen. Ich werde auch Fotos machen.“ Wahnsinnig starrt er auf den Boden. Ein verstörendes Lächeln auf den Lippen.
Ich stimme zu und wir verabschieden uns. Ich höre sein lautstarkes Verdammen jeglicher Streetart noch drei Straßen weiter.
Endlich Bett. Eine großartige Erfindung.
Einen Tag voller Flüche gen Himmel und der Erkenntnis alt zu werden später, kann ich wieder Nahrung aufnehmen und die Matratze aus dem Badezimmer schieben. Die folgenden Tage verbarrikadiere ich mich im Atelier und warte auf Nachricht. Ein Vibrieren meines Handys später bin ich auf dem Weg in die Kneipe.
Ich sitze mit einem frischen Bier am Tresen. Glücklich. Gegen 22 Uhr öffnet sich quietschend die Kneipentür und ein Mann betritt die Lokalität. Seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen schaut er immer wieder hinter sich. Er bleibt kurz stehen und scheint den Laden zu scannen. Nur ich und ein Barkeeper, der verzweifelt versucht, die Tags vom Tresen zu wischen, sind da.
„Moin!“ Erst an seinen Worten erkenne ich meinen Freund, der sich nun neben mich setzt.
„Hidiho! Was geht denn bei dir ab?“ Ich schiebe ihm mein Bier rüber und ordere bei Barmann zwei neue.
„Mein Experiment…“ Er stockt kurz und wartet, bis der Barkeeper wieder außer Hörweite ist.
„Mein Experiment hat einen strangeren Weg genommen als gedacht.“ Ein ernster Blick funkelt aus dem Dunkeln unter der Kapuze. Er schiebt mir eine Zeitung zu. Leert mein Bier in einem Zug und nippt am neuen. Seufzt. Dann schiebt er sich mit einer schnellen Bewegung die Kapuze vom Kopf.
„Aber das ist genau das, was ich meine. Das ist so ein Schwachsinn. Die sind doch alle bescheuert. Guck dir die Schlagzeile an.“ Er deutet energisch immer wieder mit seinem Finger aufs Titelblatt.
„Unbekannte zerstören einziges Banksy Graffito in Hamburg“ prangt über einem Foto vom „gecrosstem“ Banksy.
Ich kann ein kurzes Auflachen nicht unterdrücken.
„Ja siehst du! Jetzt kommt es sogar in den Zeitungen, wenn man Streetart crosst. Vor allem gecrosst. Da ist n bissel Farbe rüber gedrippt. Das war ja schon absurd genug, dass die da Plexiglas vorgeschraubt haben“, sagt er ebenso wütend wie irritiert.
„Haha, du hast nun also aus Rache ein Stencil geschändet?“ Ich fange an, die ersten Sätze des Artikels zu lesen, aber erkenne schnell, dass der Nährwert gen Null tendiert, und schlage die Zeitung wieder zu. Beim Anblick des Titelblatts muss ich wieder schmunzeln.
„Jo, aber dass das Experiment so eindeutig ausfällt, hätte ich nun nicht gedacht. Um das mal zusammen zu fassen: Die Leute regen sich nun drüber auf, dass eine illegal beschmierte Wand weiter illegal beschmiert wurde. Sie fordern sogar, dass das Bild restauriert werden soll. Wie geil ist das denn? Und weißte, was noch fast das Beste ist?“ Er schlägt mir auf die Schulter. „Keine Sau merkt, dass Graffiti falsch geschrieben ist. `G-r-a-f-i-t-t-i`. Das ist zum einen ziemlich traurig, zeigt aber zum anderen, wie respektlos man der seit Jahrtausenden etablierten Szene gegenüber tritt. Ignorante Wichser. UND es zeigt, dass Streetart als Form der Rebellion gänzlich versagt hat. Also eigentlich war mein Experiment ein voller Erfolg. Und auch du solltest mit dem Scheiß nun eigentlich aufhören und lieber Farbbeutel werfen. Das sagt mehr aus als jedes Stencil.“ Er starrt mich an und scheint nun irgendeine Rechtfertigung zu erwarten. Ich schließe genervt die Augen. Atme tief ein. Leg los.
„Geh mir nicht auf den Sack. Im Endeffekt ist mir doch scheißegal, was aus meinen Bildern wird. Es entspannt mich im Atelier zu hocken. Nachts mit Bier und guter Musik durch die Straßen zu ziehen.“ Er will mich unterbrechen. „Jaja, ich weiß, jetzt kommst du mit Instagram und Facebook. Drauf geschissen. Natürlich ist es auch geil ein kleines Feedback zu bekommen. Okay, vielleicht freut mich auch der eine oder andere Like. Da mach ich mir nichts vor. Kann schon geil sein.“
Ich nehme einen Schluck und zünde mir eine Kippe an.
„Aber am Ende mach ich das nur für mich. Ich will den Scheiß nicht verkaufen oder sonst was. Andere machen Yoga und ich sitze halt im Atelier. Vielleicht nervt es ein paar Leute. Klasse Nebeneffekt. Dem Stumpfsinn ein Bein stellen. Umso besser. Aber die Illusion der Rebellion findest du bei mir nicht. Vielleicht bringt es ein paar Leute zum Nachdenken. Auch gut. Aber sollen sich die Leute damit den Arsch abwischen. Das ist mir vollkommen egal. Also hör auf mir mein Hobby madig zu machen. Deine Ansätze kann ich voll und ganz verstehen. Keine Frage. Aber in erster Linie mache ich Kunst der Kunst willen und nicht für irgendein höheres Ziel. Ich will der Welt keinen Frieden bringen, keine Liebe predigen. Ich will entspannt und ausgeglichen ins Bett gehen und den ganzen Hass und die Wut kanalisieren.“ Ich nehme einen kräftigen Schluck. Nun bin ich drin.
„Aber denk doch mal nach…“, setzt er an. Wird aber sofort von mir unterbrochen.
„Und jetzt erzähle ich dir mal was.“ Seine Augen protestieren kurz, aber sein Mund schließt sich.
„Das weiß glaube ich keiner. Ich war ein kleiner Schisser. Ne Handvoll Haare am Kinn wachsen lassen und es Bart genannt. Ist schon ewig her. Wir haben uns als Kids, voll cool und heimlich, beim Baumarkt Sprühlack gekauft. Wir sind ganz aufgeregt in den Laden gehuscht und standen nervös wie vorm Scharfrichter an der Kasse.“ Ich rolle die Augen untermalend nach oben.
„Hat natürlich alles ohne Probleme geklappt und wir haben mit den Dosen die Spielplätze oder wo man als Kind bzw. Jugendlicher so hockt voll gemalt. Wir hatten sogar Pseudonyme. Also so richtige Gangster. Wir hatten keine Ahnung, was es eigentlich mit der Szene und dem Drumherum auf sich hat. Wir fanden es halt witzig. In unserer Naivität haben wir einfach auf alles gemalt, egal ob da schon was war oder nicht. Wir hatten halt keine Ahnung von nichts.“
Ich ziehe kräftig an der Kippe. Der Qualm vermengt sich mit den Erinnerungen.
„Da gab´s dann diese Clique von Typen. So voll cool. Mit Kiffen und Saufen und bla bla bla. Die waren eine Crew und haben halt auch viel gemalt und unsere Spielplätze gehörten zu ihrem Gebiet. Ich glaube, ich habe bis heute noch nie so hart auf die Fresse bekommen. Aber darum geht’s gar nicht. Ich hatte nun echt Schiss irgendwas irgendwo hin zu malen. Ich hatte aber noch Dosen zu Hause. Und dieser scheiß Sprühlack ist arschteuer. Kein Job. Bei Mutti und Vatti gewohnt. Schule. Da musste ich schon ein bisschen Geld zusammenkratzen. Das fand ich doof. Also muss der Rest noch verballert werden. Da ging es mir ums Prinzip. Aber hier irgendwo malen… Nee, ich hatte die Hose echt voll. Wir haben uns auch andere Plätze zum Gammeln gesucht. Aber egal.“
Ich drücke die Kippe aus und werfe gleich eine neue nach.
„Dann habe ich in der Zeitung einen Artikel über Streetart gelesen. Waren auch ein paar Bilder dabei. Fand ich irgendwie ganz witzig, also setzte ich mich dran eine Schablone zu machen. Mit Paint. Photoshop kann ich mir bis heute nicht leisten. Die Schablone machte ich aus einem dieser Plastikdeckblätter eines Schulhefters. Einmal den Kram irgendwo hin ballern und gut ist. Dosen leer. Kapitel geschlossen. Mein Problem war nun, dass ich kein Bock mehr auf Ärger hatte. Weder von irgendwelchen Schlägern noch von der Bullerei oder sonst wem. Also kam ich auf die glorreiche Idee mir einfach ein Pseudonym auszuleihen. Ausleihen klingt netter als klauen. Oder sagen wir borgen. Das war dann halt der und ich bin fein raus. Am besten noch ein bisschen weiter weg von zu Hause. Sicher ist sicher. Die Zeitung lieferte mir dann auch gleich einen Vorschlag. Es war gerade irgendein Streetartfest oder so in der Stadt. Also zog ich mit meiner Schablone und meinen letzten Dosen los. Scheiße, war ich nervös. War mit ein paar Kollegen unterwegs und haben uns dabei ordentlich zugeschüttet. War dann doch noch ganz witzig. Haben die Innenstadt voll gemalt und uns so von der Sprayerphase verabschiedet. Ein würdiger Abschluss. Aber das Geilste kommt jetzt noch.“
Ich kann mein hämisches Grinsen nicht verbergen und mein Blick huscht kurz wieder aufs Deckblatt der Zeitung.
„Ein paar Tage später blätter ich wieder in einer Zeitung. Und was ist? Mein Stencil ist zu sehen. Ein Mädchen, das eine Bombe umarmt.“
Ich nehme einen großen Schluck vom Bier. Mein Kollege blickt mich verdutzt an.
„Und was lernen wir daraus? Nimm den ganzen Scheiß nicht so ernst, denn die haben alle einen Knall“, proste ich ihm zu.
„Don´t believe the hype“, murmelt er. Und grübelt. „Das heißt ja, dass ich dich gecrosst habe?“, fragt er nachdenklich.
Ich ziehe meine Ärmel nach oben. „Jo, im Grunde ja. Und dafür gibt’s nun auf die Fresse.“ Er guckt mich verwirrt an und wir beide fangen an zu lachen.
„Die Welt ist viel zu bescheuert, um sie noch irgendwie ernstnehmen zu können. Scheiß auf alle und mach einfach dein Ding. Natürlich ist das Überkleben scheiße. Aber die Welt besteht halt größtenteils aus Idioten. Reiß halt die Paste ups wieder ab. Mal nochmal drüber. Freu dich, dass es so geil aussah. Trends kommen und gehen. Also mach‘s für dich und freu dich nen Keks. Was die anderen daraus machen, ist doch an sich scheißegal, und wenn‘s genug sind, ist es eh nur Massenhysterie und nichts wert. Die Welt ist halt schlecht. Machen wir das Beste draus. Hätte die Welt nur früher gewusst, dass Banksys Sachen Kunst sind, dann wären die anderen Stencils von ihm in Hamburg noch erhalten.“, schließe ich ab.
Trinke mein Bier aus und nicke ihm zu. „So, genug gesabbelt. Lass losziehen. Ist dunkel draußen. Wir holen uns am Kiosk noch n paar Bier und gehen bomben.“ Er stimmt mir nachdenklich lächelnd zu. Wir zahlen und beginnen beim Rausgehen schon mal die Farbe in den Dripsticks zu mischen. Die Bewegung erinnert entfernt an Onanie.